Egregantius

Perhorreszierende Perzeptionen (XXI)

[1] Von Dummheit, die uns direkt angehen kann, haben wir immer auszugehen.

[2] Gängige Praxis ist fortlaufende Theorie.

[3] Immer weniger Schriftsteller geraten in Vergessenheit, da die allermeisten nie gekannt wurden.

[4] „Mit der Bitte um kurze Antwort“: Konditionierung darauf, es als normal zu empfinden, so kurz wie möglich angebunden zu sein.

[5] Ein Mann trifft die dümmste Entscheidung seines Lebens. Unermessliches Leid entsteht, das durch nichts gerechtfertigt oder aufgewogen werden könnte. Sie nannten es Homo sapiens.

[6] Was wir nicht in die Hand nehmen wollen, bekommt uns meistens in den Griff.

[7] L’art pour l’art: Ist das Kunst, oder erfüllt es seinen Zweck?

[8] Wenn ein Mensch einmal zufrieden ist, wird er bald schon gute Gründe finden können, unzufrieden zu sein.

[9] Man kann bei manchen nur noch hoffen, dass sie sich keine allzu großen Hoffnungen mehr machen.

[10] Das Warten ermüdet in einer Weise, die kaum mehr zu vertreten ist.

Perhorreszierende Perzeptionen (XX)

[1] Wir hauen in die Tasten. Was für eine großartige Zeit muss doch das tintenklecksende Säkulum gewesen sein!

[2] Sie schrieben solange voneinander ab, bis der letzte Abschreiber ausgezeichnet wurde.

[3] Unsere Schulbildung geht darauf aus, dass Schüler nach ihrem Schulabschluss alle Bildungsgüter immerhin gut genug abschätzen können, ohne sie je ausgiebig genossen zu haben, oder auch nur das intrinsische Bedürfnis zu verspüren, sie jemals für sich in Anspruch nehmen zu wollen.

[4] Wenn wir endlich wissen, was wir wollen, werden wir uns noch wundern.

[5] Es lohnt sich immer, den „besten Willen“ auf seine Güte hin zu überprüfen.

[6] Dekadente klagen über die Unbilden des Labsals.

[7] Wir verkaufen, wo wir nicht anders gönnen.

[8] So mancher glaubt nur die Wahl zu haben, sich erwählen zu lassen.

[9] Manchem fehlt ein gehöriger Mangel.

[10] Wenn die Dinge aus dem Ruder laufen, dürfen neu erwählte Sklaven es wieder richten.

Perhorreszierende Perzeptionen (XIX)

[1] Einsehen erfolgt nicht in jeder Hinsicht, aber in manchem Hinblick.

[2] Wahrhaft verachten kann nur, wer sein Selbst achten kann, mithin also genau genug kennt, um zu wissen, welches Handeln unter gegebenen Umständen Achtung gebietet oder Verachtung verdient.

[3] Die Weisheit war teuer erkauft. Er musste sich zusammenraufen.

[4] Geschrei muss in Echokammern einen großen Widerhall finden.

[5] Manche Aphoristiker verstehen sich als Jäger des verlorenen Satzes.

[6] Die alten Geistesgrößen sind zwar schon lange tot, doch manche liegen auch weiterhin noch als geistesgeschichtliche Stolperfallen darnieder.

[7] Zurückweisungen sind auch wegweisend.

[8] Das Leben läuft ab. Doch manche laufen zur Form auf, als hinge ihr Leben davon ab.

[9] Lügen haben zwar kurze Beine, doch der (oft eher unspektakulären) Wahrheit müssen zunächst einmal Beine gemacht werden, damit der Lüge etwas entgegengesetzt werden kann.

[10] Die meisten Autoren fabrizieren ihre Bücher, weil sie es sich nicht leisten können, gehaltvolle Werke für den Druck freizugeben.

Perhorreszierende Perzeptionen (XVIII)

[1] Dahingesagt wird vieles, aber das Wenigste davon wirklich abgefragt.

[2] Wie zugestellt sind eigentlich unsere Vorstellungen?

[3] Der überbordende fragmentierte Unsinn, dem wir uns täglich ausgesetzt sehen, verunmöglicht nahezu die bewusste Annahme eines gangbaren modus vivendi.

[4] Was einen nicht aufreibt, lässt einen im schlimmsten Fall stumpfsinnig bleiben.

[5] Einfach gestrickte Menschen haben natürlich Struktur, weil sie zu allen möglichen Dingen instruiert werden können.

[6] Die meisten haben offenbar vergessen, dass man sie getrost vergessen kann.

[7] Einigen muss einmal Luft gemacht werden, damit sie nicht länger Gefahr laufen, an sich zu ersticken.

[8] Die panische Angst vor Bedeutungslosigkeit führt zu allen möglichen Zuschreibungen von Bedeutung.

[9] Wahrhaft verachten kann nur, wer sein Selbst achten kann, mithin also genau genug kennt, um zu wissen, welches Handeln unter gegebenen Umständen Achtung gebietet oder Verachtung verdient.

[10] Sklavenseelen ist nichts zu vergeben.

Perhorreszierende Perzeptionen (XVII)

[1] Herausgeputzt: Ist das Kunst, oder war das Dreck?

[2] Nur wenn Wert auf sie gelegt wird, können Wortschätze gehoben werden.

[3] Schopenhauerianisch gesprochen: Mit jeder neuen Geburt stülpt sich Wille Materie über, bzw. verleibt sich diese ein.

[4] Er täuschte seinen Tod vor. Es würde ihm so passen, noch einmal mit dem Tod davonzukommen.

[5] „Ich habe mein Leben gelebt. Seht mir dabei zu, ihr Narren!“ ist die unausgesprochene Attitüde vieler Autobiographen. „So bedecke doch deine Blöße!“ ist man versucht, ihnen nachzusagen.

[6] Wenige beherrschen die Kunst des Zitierens. Daher wird vieles nahezu unverdaut in abschätziger oder besserwisserischer Weise ausgespuckt.

[7] Glückliche Fügung: Der vermeintliche Hilfeschrei des sogenannten „Arbeitsmarktes“ hat so manchen anderweitig Beschäftigten weder erreichen, noch treffen können.

[8] Tagsüber belächelt man die Gedanken, die einen nachts noch bedeutungsschwanger überfallen können.

[9] Die Philosophie als unveräußerliches Angebot verspricht nichts. Diese Reizlosigkeit macht ihren besonderen Reiz aus.

[10] Es irrlichtert der Mensch, solange er ist er verwirrt und die Schlaflosen bedrängen mit Vorliebe alle Ausgeschlafenen, endlich aufzuwachen.

Neujahrstraum

In der Neujahrsnacht habe ich von drei kleinen traumatisierten Mädchen geträumt, die alle jeweils eine Hand verloren und durch Knochensplitter im Gesicht entsetzlich entstellt waren (mindestens ein Mädchen verlor dabei das Augenlicht), weil sie nach dem allgemeinen Geheiß ihrer Klassenlehrerin bei einer vergnüglichen Klassenfahrt dummerweise auch während einer turbulenten Achterbahnfahrt bei einem (nicht näher bestimmbaren) auftretenden Problem wie üblich die Hand vor dem Eintritt in einen Tunnel hoben, um anzuzeigen, dass sie von ihrer Lehrerin Hilfe benötigen.

Daraus habe ich die philosophische Lehre gezogen, dass es keine Hilfestellung bei grundlegenden existentiellen Fragen geben kann. Während der Achterbahnfahrt des Lebens ist man grundsätzlich auf sich allein gestellt. Wer dabei auf Hilfe rechnet oder diese aktiv einfordert, kann unter Umständen einen schwerwiegenden Schaden davontragen.

Perhorreszierende Perzeptionen (XVI)

[1] Sie fanden etwas an ihm, weil er ihnen sagte, was allen fehlte.

[2] Beschränkt ist in meinen Augen, wer sich den Grundsatz ‚Es kann nicht wahr sein, was nicht wahr sein darf‘ aneignet und davon ausgehend sein vorgefertigtes Weltbild reinzuhalten sucht.

[3] Religion ist für Viele auch nur der Glaube an das Nächstbeste.

[4] Es bleibt einem nichts anderes übrig, als sich das selbst denkend zu erarbeiten, was einen betreffen könnte. Dann macht es vielleicht sogar betroffen.

[5] Es ist fatal, die eigene Großmannssucht für ein besseres Bewusstsein zu halten.

[6] Am drängendsten ist wohl eher der Untatverdacht.

[7] Zitate in der Sekundärliteratur: nicht selten verdorbene Lesefrüchte.

[8] Klimawandel: Der Schnee von gestern wird urplötzlich zum heißen Eisen.

[9] Ein Gedanke, der sich lohnt, ist selten ein Gedanke, der sich auszahlt.
(Gedanken, die sich ausgezahlt haben, sind überbewertet.)

[10] Während der Bildungshunger zu keinem Zeitpunkt sättigt, vermittelt ein wohliger dogmatischer Schlummer den Anschein, bereits satt zu sein.

Perhorreszierende Perzeptionen (XV)

[1] So mancher ist auch nur seines Schmiedes Versatzstück.

[2] Wenn ein Wissenschaftler auf der Stelle tritt, gibt es Schweißfußnoten.

[3] Der Mensch neigt dazu, die Welt in Unordnung zu bringen, damit er sich einmal mehr dazu aufraffen kann, eine gewisse Ordnung wiederherzustellen.

[4] Wir bemühen uns ständig darum, uns zu versinnbildlichen, weil wir uns nicht eingestehen wollen, dass die Sinnlosigkeit unser Schicksal ist. Der Mensch kann sich gerade einmal abbilden lassen. Das ist so ziemlich das einzige, wozu er befähigt ist.

[5] Ich tue etwas, wovon ich überzeugt bin. Ich tue also idealerweise nichts.

[6] Was früher vielleicht gelesen wurde, wird heute unter Umständen noch aufgelesen und kurz überflogen, um so schnell wie möglich vergessen oder in irgendeiner Weise weiterverbreitet zu werden.

[7] Kapitales Unvermögen muss nicht beschafft werden, weil es ständig im Angebot ist.

[8] Wo kommen wir denn hin, wenn wir nirgendwo mehr ankommen müssen?

[9] Nur ein leidgetränkter Schriftsteller vermag unseren Durst zu stillen.

[10] Wer kann mir eine Garantie darauf geben, dass das Weltall nicht schon morgen in sich zusammenfällt?

Perhorreszierende Perzeptionen (XIV)

[1] Jedem Anfang wohnt etwas Anfänglicheres inne, das sich zwangsläufig verfängt.

[2] Sollte man sich veraufgaben?

[3] In den kleinsten Taten liegt oft genug das größte Vertun.

[4] Wir haben genug gesehen. Das ist mithin ein Grund, warum wir uns nichts mehr ausmalen müssen.

[5] Das eigene Wohlergehen ist nur für denjenigen von Interesse, der nicht vom Weg abkommen, also auf der Strecke bleiben will.

[6] Wer vorausgehen will, muss wissen, was ihn alles angehen kann.

[7] Ein in die Tat umgesetzter Gedanke kann möglicherweise etwas ausrichten, doch was kann ein ausbleibender Gedanke alles anrichten?

[8] Nur der Aphorismus kann noch den Sand am Meer mit dem Mikroplastik in den Ozeanen aufwiegen.

[9] Was die Frage der Schätzung des Weisen in einer Gemeinschaft oder Gesellschaft angeht, waren sich die Weisen immer schon erstaunlich einig.

[10] Immer wieder die bange Frage: Wer hat mir noch etwas zu sagen, im Sinne von: Wer hat mir überhaupt noch etwas mitzugeben, was ich mir nicht schon selbst gedacht habe?

Perhorreszierende Perzeptionen (XIII)

[1] Verkrafte, wer du bist!

[2] Wer auf der Suche nach den verlorenen Worten ist, wird sie in keinem Buch dieser Welt finden können. Wenn er es am wenigsten erwartet, werden sie allerdings in aller Ausdrücklichkeit vorzufinden sein.

[3] Die meisten Schriftsteller werden nur deswegen nicht vergessen, weil sie nie gekannt wurden.

[4] Sinnbezüge machen erschreckenderweise auch ohne einen Sinn des Lebens Sinn.

[5] Was uns beliebt, belebt uns das auch?

[6] Die Chance des Menschen liegt in seiner unverwertbaren Nutzlosigkeit.

[7] Wer übt, kann auch etwas verüben.

[8] Das Beste und das Schlechteste, was man über einen Menschen sagen kann: Er war nur ein Mensch.

[9] Was Philosophen aus guten Gründen verwerfen, wird ihnen grundlos wieder vorgeworfen werden.

[10] Manchmal gibt ein Miststück den Takt des Tages vor.