Egregantius

Perhorreszierende Perzeptionen (XXIII)

[1] Irgendwann erlangen wir die Reife für das, was uns blüht.

[2] Vieles kann man auch einfach neidlos aberkennen.

[3] Wer sich einsetzt, findet womöglich den Satz seines Lebens.

[4] Inkompetenz ist dann am unerträglichsten, wenn sie in all ihren Facetten abzusehen ist.

[5] Wenn es keine Antworten mehr gibt, wird gerne gefragt, wer eigentlich etwas zu verantworten hat.

[6] Mehrheitsgesellschaft: Plötzlich sind wir wieder mehr!

[7] Von den Einfällen zu den Auffälligkeiten: Was mir früher nur einfiel, fällt mir heute immer öfter auf.

[8] Die Zitatsammler haben die Werke nur verschieden exzerpiert, es kömmt aber darauf an, sie in ihre ursprüngliche Gestalt zurückzuversetzen.

[9] Omnipräsent: Die Idiotie der Masse ist ein immerwährendes Geschenk besonderer Art.

[10] Im Endeffekt könnten wir doch alle etwas tun, was wir nicht fassen können.

10 ausgewählte Notate aus den letzten Jahren (I)

[1] Was einmal bedacht wurde, kommt immer wieder zu einem zurück. Wenn es zurückkommt, kann es auch notiert werden. Danach erst geht es ans Schreiben. […] Wenn es wirklich gedacht wurde, wird es sich in dir festsetzen. Du wirst davon durchwirkt sein und du wirst wissen, dass du davon durchwirkt bist. […] Ich denke, dass der Anfang des Gedachten immer ein Stückweit Erinnerung ist. Aber der Prozess des Denkens selbst ist von einer faszinierenden Fluidität. (Für C. K. am 8.5.2015 und 10.5.2015)

[2] Man kann den Irrtum ja eigentlich nicht mehr weiter leben, wenn man ihn einmal erkannt hat. Doch viele könnten nicht weiterleben, wenn sie einen erkannten Irrtum akzeptieren müssten, der schon lange zum Dreh- und Angelpunkt ihrer Existenz wurde. Deshalb müssen sie insgeheim an ihm leiden, sich an ihm aufreiben, ohne sich ihren Irrtum eingestehen zu wollen.

[3] Wer sich in einem Lehrer/Schüler-Verhältnis immer nur zu Wort meldet, gefällt sich in der Rolle eines vornehmen Schülers, der seinem Meister immer dann genüsslich ins Wort fällt, wenn dieser seine Stimme aus intrinsischer Motivation erhebt – und im eigentlichen Sinne das erlebt, was dem Schüler auf ewig verschlossen bleiben muss.

[4] Die Langeweile kann in einen ereignisreichen Zustand überführen, wenn man sich in ihr die gedankliche Bewegungsfreiheit zu eröffnen weiß. Denn wenn sich eben urplötzlich der Anknüpfungspunkt für einen weiterführenden Gedankengang aus der Langeweile heraus ergibt, der mit intrinsischem Eifer weiterverfolgt werden will, ist die Langeweile nicht länger haltbar, muss aufgegeben werden und weicht augenblicklich, um einer neuen Erkenntnismöglichkeit Platz machen zu können.

[5] Physische Bücher sind – unabhängig von ihrem Inhalt – auch Erinnerungsstücke. Sie erinnern an die besonderen Umstände des Erwerbs, gegebenenfalls den wohlmeinenden Schenker, vergangene gesellschaftliche Debatten, persönliche Lebenskrisen, entscheidende Wendepunkte oder Wegmarken. Sie helfen mitunter dabei, Erinnerungen sinnstiftend zu bewältigen, was ihnen den Vorzug vor elektronischen Büchern gibt.

[6] Wer einmal darauf achtet, wie der Speichel der Mundhöhle bei stabiler Schlafseitenlage in die Kehle stetig hinabtropft, oder an der Zunge abperlt, dem kann dieser Umstand schlaflosere Nächte bereiten, als ein tropfender Wasserhahn.

[7] Ich wunderte mich im Traum darüber, dass ein vorgestellter Gesprächspartner genau die Worte sprach, die ich in ebendiesem Moment (auch) dachte. Ähnlich empfindet wohl ein Ideologe, der eine mit anderen geteilte, gemeinsame Traumwelt auf die Realität überträgt und dadurch ein geradezu kindliches Vergnügen an gleichlautenden Vorstellungen und Gedanken empfindet.

[8] Wer legt bei geschriebenen Texten eigentlich noch Wert auf den gewählten Ausdruck? Der prinzipiell desinteressierte Leser jedenfalls nicht. So tippen die meisten modernen Autoren zwar munter vor sich hin, aber nur die Wenigsten verstehen noch etwas vom Handwerk des Schreibens. Dass fast alle Drucksachen mittlerweile umstandslos gedruckt werden, obwohl sie in den seltensten Fällen auch druckfertig sind, ist beklagenswert. Die meisten Bücher sind damit kaum mehr lesenswert. Zwischen den fehlerbehafteten Zeilen steht die abgehetzte Mußelosigkeit unserer Zeit, das tiefgreifende Nach- und Überdenken muss hierbei zwangsläufig zu kurz kommen. (siehe Steemit-Eintrag vom 13.2.2018)

[9] Für einen Philosophen ist es grausam, darum zu wissen, dass er eines Tages seinen Geist aufgeben muss. Und wofür hat er sich sein Leben lang eigentlich damit abgeplagt, etwas mehr von der Welt verstehen zu können, wenn es letzten Endes keine Rolle spielt, unter welchen geistlosen und sinnentleerten Voraussetzungen Menschen hier auf Erden ihr Dasein fristen? (siehe Steemit-Eintrag vom 31.12.2017)

[10] Weit abgeschlagen hatte ich mich vor mir selbst zurückgezogen. Und dennoch unternehme ich immer wieder den Versuch, mir auf den Grund zu gehen, obwohl es nicht ungefährlich ist, sich als Unbefugter den Zugang zum eigenen Ich verschaffen zu wollen.

Zeitungsartikel in der Saarbrücker Zeitung

In der heutigen Druckausgabe der Saarbrücker Zeitung für den Landkreis Merzig-Wadern ist unter dem Titel „Manchmal reicht auch ein kleiner Satz“ anlässlich der Aufnahme einiger meiner Aphorismen in die Anthologie „Deutsche Aphoristik der Gegenwart“ ein halbseitiges Porträt über mich veröffentlicht worden, über das ich mich sehr freue, auch wenn es für meinen Geschmack etwas zu pathetisch ausgefallen ist. Es wurde von einer jungen, sehr engagierten Praktikantin angefertigt, der die undankbare Aufgabe zufiel, unter anderem meine ellenlangen Ausführungen zu den griechischen Ursprüngen des Aphorismus bei Hippokrates und Heraklit, über die französischen Moralisten und die ersten deutschsprachigen Vertreter (Lichtenberg) bis hin zu neueren Entwicklungen gen reaktionärer (Dávila, Klonovsky) und metaphorischer Aphoristik (Benyoëtz) irgendwie zusammenzukürzen und für den geneigten SZ-Leser aufzubereiten.

Im Jahr 2009 wurde in der Saarbrücker Zeitung übrigens schon einmal durch meinen ehemaligen Schulfreund Adrian Froschauer ein Artikel zu meinem ersten Aphorismenband „Zersplitterte Gewissheiten“ veröffentlicht, der bis heute als Redakteur für die Saarbrücker Zeitung (jetzt am Digitaldesk) tätig ist. Ich wünsche Frau Schmitz viel Erfolg bei der Anfertigung weiterer Porträts und werde ihr Kürzel in der Saarbrücker Zeitung im Auge behalten!

Kurzer Hinweis zu neuer Aphorismenanthologie „Deutsche Aphoristik der Gegenwart“

Dieser Tage wurde durch das Deutsche Aphorismus-Archiv (DAphA) eine neue Anthologie mit Aphorismen zahlreicher zeitgenössischer Autoren herausgegeben, in der auch eine kleine Auswahl meiner Aphorismen enthalten ist. Darin sind jeweils 4 Aphorismen aus meinen 5 Buchveröffentlichungen zu finden. Eine kritische Rezension zur neuen Anthologie hat vor kurzem Felix Philipp Ingold für das Signaturen-Magazin geschrieben.

Perhorreszierende Perzeptionen (XXII)

[1] Sie surften weltoffen. Dann kamen sie ins Schwimmen und sahen alles nur noch verschwommen.

[2] Das Werden des Menschen ist ein ständiges Vergehen.

[3] Wo kein Richter, da ein Überdenker.

[4] Das Zuckerbrot des Deutschen ist und bleibt die wohlangewandte Peitsche.

[5] Wer auf der Höhe sein will, muss die Klaviatur der niedersten Gefühle bespielen können.

[6] Der Mensch richtet bevorzugt Dinge an, die kein Mensch mehr beheben kann.

[7] Wer die Frage eines Philosophen zu beantworten sucht, fällt ihm zum Opfer.

[8] Es soll sogar Politiker geben, die sich in aller Öffentlichkeit bis zur Besinnungslosigkeit besinnen können.

[9] Unheilserwartungen sind gottlob einem ständigen Wandel unterworfen.

[10] Frieden schaffen – ginge nur ohne selbstgefällige Affen.

Hinweis zu den „Gesammelten Aphorismen“ von Marie von Ebner-Eschenbach

An dieser Stelle ein kurzer Hinweis zu einem Buchprojekt, das ich vor einiger Zeit mithilfe von Bernd-Christoph Kämper erfolgreich abschließen konnte.

Etwa ab Mitte letzten Jahres habe ich intensiv an einer Neuausgabe der „Aphorismen“ von Marie von Ebner-Eschenbach gearbeitet, weil mir bei Recherchen für Aphorismen.de aufgefallen war, dass in den einzelnen noch zu Lebzeiten der Autorin veröffentlichten Buchausgaben oftmals stillschweigend Aphorismen durch andere ersetzt wurden, die dann in späteren Ausgaben teilweise gar nicht mehr abgedruckt waren. Zudem konnte ich mithilfe einfacher Google-Suchen diverse Aphorismen aus Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln ermitteln, die ebenfalls noch nie in moderne Buchausgaben eingearbeitet wurden. Die „Aphorismen“ erfreuen sich zwar bis heute nach wie vor großer Beliebtheit und werden immer wieder nachgedruckt, aber dabei werden in der Regel leider immer nur die „Aphorismen“ aus den Werkausgaben der Jahre 1893 und 1920 berücksichtigt.

Durch die Kontakte zum Zitatforscher Gerald Krieghofer, der im letzten Jahr insgesamt drei Falschzitate (1/2/3) von Ebner-Eschenbach recherchiert hatte, ergab sich in der zweiten Jahreshälfte ein fruchtbarer Austausch mit dem Stuttgarter Bibliothekar Bernd-Christoph Kämper (*1961), mit dessen Hilfe ich noch die entlegensten nicht-digitalisierten Quellen zu Ebner-Eschenbach recherchieren konnte. Erfreulicherweise war auch Gerald Krieghofer dazu bereit, in der Wien-Bibliothek – also vor Ort selbst – diverse Dokumente zu Ebner-Eschenbach für uns einzusehen und abzufotografieren.

Herausgekommen ist dabei eine kritische, vielfach ergänzte Ausgabe mit hunderten Fußnoten, die die Entwicklungsgeschichte einzelner Aphorismen zum ersten Mal nachvollziehbar machen. Während die gängigen Standardausgaben je nach Auswahl gerade einmal 500-800 Aphorismen anbieten, kann unsere Ausgabe mit fast 1100 Aphorismen aus über 50 Quellen aufwarten (wobei die Varianten zu einzelnen Aphorismen noch nicht mitgezählt sind). Zu berücksichtigen ist dabei, dass wir die Aphorismen aus Ebner-Eschenbachs Nachlass (Briefe, Notiz- und Tagebücher) noch gar nicht eingearbeitet haben, unsere Ausgabe präsentiert also nach wie vor nur einen Bruchteil des aphoristischen Schaffens der Autorin.

Erfreulicherweise erfahren wir von interessierten Lesern bislang nur positives Feedback zu unserer Neuausgabe. Eine ausführliche Rezension zu dem Buch hat Dr. Friedemann Spicker für das DAphA veröffentlicht.

Noch ein Hinweis zum Buchpreis: Das Buch wird selbstverständlich auch über Amazon verkauft (siehe auch die kurze Leseprobe dort). Der reguläre Buchpreis ist in der Eurozone mit 16,50 € festgesetzt. Da unser Buch über einen Print-on-Demand-Anbieter aus den USA vertrieben wird, verteuert sich der Buchpreis in Deutschland leider um 7% (siehe hierzu die folgende Übersicht). Allen interessierten Lesern, die unsere Arbeit unterstützen möchten, empfehle ich das Buch direkt über Lulu oder einen lokalen Buchhändler ihrer Wahl zu bestellen.

PS: Wie der Rezension von Dr. Friedemann Spicker zu entnehmen ist, habe ich in der Vergangenheit auch schon einige andere ältere Werke – hauptsächlich aphoristische Literatur – über Lulu neu veröffentlicht. Wer hieran interessiert ist, kann sich gerne bei mir melden und um weitere Auskunft bitten.

Perhorreszierende Perzeptionen (XXI)

[1] Von Dummheit, die uns direkt angehen kann, haben wir immer auszugehen.

[2] Gängige Praxis ist fortlaufende Theorie.

[3] Immer weniger Schriftsteller geraten in Vergessenheit, da die allermeisten nie gekannt wurden.

[4] „Mit der Bitte um kurze Antwort“: Konditionierung darauf, es als normal zu empfinden, so kurz wie möglich angebunden zu sein.

[5] Ein Mann trifft die dümmste Entscheidung seines Lebens. Unermessliches Leid entsteht, das durch nichts gerechtfertigt oder aufgewogen werden könnte. Sie nannten es Homo sapiens.

[6] Was wir nicht in die Hand nehmen wollen, bekommt uns meistens in den Griff.

[7] L’art pour l’art: Ist das Kunst, oder erfüllt es seinen Zweck?

[8] Wenn ein Mensch einmal zufrieden ist, wird er bald schon gute Gründe finden können, unzufrieden zu sein.

[9] Man kann bei manchen nur noch hoffen, dass sie sich keine allzu großen Hoffnungen mehr machen.

[10] Das Warten ermüdet in einer Weise, die kaum mehr zu vertreten ist.

Perhorreszierende Perzeptionen (XX)

[1] Wir hauen in die Tasten. Was für eine großartige Zeit muss doch das tintenklecksende Säkulum gewesen sein!

[2] Sie schrieben solange voneinander ab, bis der letzte Abschreiber ausgezeichnet wurde.

[3] Unsere Schulbildung geht darauf aus, dass Schüler nach ihrem Schulabschluss alle Bildungsgüter immerhin gut genug abschätzen können, ohne sie je ausgiebig genossen zu haben, oder auch nur das intrinsische Bedürfnis zu verspüren, sie jemals für sich in Anspruch nehmen zu wollen.

[4] Wenn wir endlich wissen, was wir wollen, werden wir uns noch wundern.

[5] Es lohnt sich immer, den „besten Willen“ auf seine Güte hin zu überprüfen.

[6] Dekadente klagen über die Unbilden des Labsals.

[7] Wir verkaufen, wo wir nicht anders gönnen.

[8] So mancher glaubt nur die Wahl zu haben, sich erwählen zu lassen.

[9] Manchem fehlt ein gehöriger Mangel.

[10] Wenn die Dinge aus dem Ruder laufen, dürfen neu erwählte Sklaven es wieder richten.

Perhorreszierende Perzeptionen (XIX)

[1] Einsehen erfolgt nicht in jeder Hinsicht, aber in manchem Hinblick.

[2] Wahrhaft verachten kann nur, wer sein Selbst achten kann, mithin also genau genug kennt, um zu wissen, welches Handeln unter gegebenen Umständen Achtung gebietet oder Verachtung verdient.

[3] Die Weisheit war teuer erkauft. Er musste sich zusammenraufen.

[4] Geschrei muss in Echokammern einen großen Widerhall finden.

[5] Manche Aphoristiker verstehen sich als Jäger des verlorenen Satzes.

[6] Die alten Geistesgrößen sind zwar schon lange tot, doch manche liegen auch weiterhin noch als geistesgeschichtliche Stolperfallen darnieder.

[7] Zurückweisungen sind auch wegweisend.

[8] Das Leben läuft ab. Doch manche laufen zur Form auf, als hinge ihr Leben davon ab.

[9] Lügen haben zwar kurze Beine, doch der (oft eher unspektakulären) Wahrheit müssen zunächst einmal Beine gemacht werden, damit der Lüge etwas entgegengesetzt werden kann.

[10] Die meisten Autoren fabrizieren ihre Bücher, weil sie es sich nicht leisten können, gehaltvolle Werke für den Druck freizugeben.

Perhorreszierende Perzeptionen (XVIII)

[1] Dahingesagt wird vieles, aber das Wenigste davon wirklich abgefragt.

[2] Wie zugestellt sind eigentlich unsere Vorstellungen?

[3] Der überbordende fragmentierte Unsinn, dem wir uns täglich ausgesetzt sehen, verunmöglicht nahezu die bewusste Annahme eines gangbaren modus vivendi.

[4] Was einen nicht aufreibt, lässt einen im schlimmsten Fall stumpfsinnig bleiben.

[5] Einfach gestrickte Menschen haben natürlich Struktur, weil sie zu allen möglichen Dingen instruiert werden können.

[6] Die meisten haben offenbar vergessen, dass man sie getrost vergessen kann.

[7] Einigen muss einmal Luft gemacht werden, damit sie nicht länger Gefahr laufen, an sich zu ersticken.

[8] Die panische Angst vor Bedeutungslosigkeit führt zu allen möglichen Zuschreibungen von Bedeutung.

[9] Wahrhaft verachten kann nur, wer sein Selbst achten kann, mithin also genau genug kennt, um zu wissen, welches Handeln unter gegebenen Umständen Achtung gebietet oder Verachtung verdient.

[10] Sklavenseelen ist nichts zu vergeben.