Egregantius

Tag: Lesen

Perhorreszierende Perzeptionen (XV)

[1] So mancher ist auch nur seines Schmiedes Versatzstück.

[2] Wenn ein Wissenschaftler auf der Stelle tritt, gibt es Schweißfußnoten.

[3] Der Mensch neigt dazu, die Welt in Unordnung zu bringen, damit er sich einmal mehr dazu aufraffen kann, eine gewisse Ordnung wiederherzustellen.

[4] Wir bemühen uns ständig darum, uns zu versinnbildlichen, weil wir uns nicht eingestehen wollen, dass die Sinnlosigkeit unser Schicksal ist. Der Mensch kann sich gerade einmal abbilden lassen. Das ist so ziemlich das einzige, wozu er befähigt ist.

[5] Ich tue etwas, wovon ich überzeugt bin. Ich tue also idealerweise nichts.

[6] Was früher vielleicht gelesen wurde, wird heute unter Umständen noch aufgelesen und kurz überflogen, um so schnell wie möglich vergessen oder in irgendeiner Weise weiterverbreitet zu werden.

[7] Kapitales Unvermögen muss nicht beschafft werden, weil es ständig im Angebot ist.

[8] Wo kommen wir denn hin, wenn wir nirgendwo mehr ankommen müssen?

[9] Nur ein leidgetränkter Schriftsteller vermag unseren Durst zu stillen.

[10] Wer kann mir eine Garantie darauf geben, dass das Weltall nicht schon morgen in sich zusammenfällt?

Perhorreszierende Perzeptionen (XII)

[1] Wie gewollt ist eigentlich unser Wollen?

[2] Man kann sein Kapital auch in ein großes Unvermögen verwandeln.

[3] Sobald ein Philosoph sein Denken lieben lernt, verlernt er es vollständig.

[4] Gehören unsere Träume uns, oder gehören wir unseren Träumen?

[5] Wer im Einklang mit sich ist, kann nicht so berauschend klingen.

[6] Es gibt kein wahres Lesen ohne Genesegenuss.

[7] Die Selbstgespräche von Taubstummen sind vermutlich am ergiebigsten.

[8] Wenn das Universum deterministisch ist, dann hat es alles für Nichts gegeben.

[9] Das Schicksal der meisten: So fertig mit der Welt zu leben, als hätten sie sich ausgelebt.

[10] Festzuhalten bleibt, dass festgehaltene Sätze fast immer unhaltbar werden.

Perhorreszierende Perzeptionen (VI)

[1] Was schwer zu sagen ist, wird lediglich benannt.

[2] Die Menschen sind sich nicht gleich, aber manche bleiben sich gleich und viele gleichen sich manchen an.

[3] Was ein anderer einsehen will, haben wir in einer Weise abzusehen, die es uns erlaubt, genauer hinzusehen.

[4] Traurig, aber wahr: Das Unverwechselbare dient Vielen nur zur nötigen Abwechslung.

[5] Im Grunde ist es nur sehr verständlich, dass vor allem die Unverständigen uns immer etwas zu sagen haben.

[6] Unerträgliche Kulturträger wollen immer gleich vom Zeitgeist getragen sein.

[7] Einige moderne Autoren erregen nur deshalb mediale Aufmerksamkeit, weil sie – vorsätzlich skandalisiert – in den Fokus der Öffentlichkeit gezerrt werden und die verbliebenen (vermuteten) Kulturinteressierten alsdann in der heißumkämpften Pro/Contra-Phase fieberhaft nach einer guten Ausrede zu suchen haben, um die so Gehypten unter keinen Umständen lesen zu müssen.

[8] Es gibt Autoren, die auf Gedeih und Verderb gelesen werden wollen. Die Autoren, die tatsächlich (noch) gelesen werden, liegen fast immer irgendwo begraben.

[9] Oft überblicken wir, was wir sehen wollen und bekommen einmal mehr unser altbekanntes alter ego zu Gesicht.

[10] Wer eigenständig denkt, kann sich vieles schenken und das Geschenkte später anderen mit auf den Weg geben, die es vielleicht nötig haben oder noch gut brauchen können.

Garantierte Expektorationen (XXVII)

[1] Ich sehe mich immer wieder dazu gezwungen, meine Freiheit in Anspruch zu nehmen.

[2] Ein Philosoph ist selbst in seiner Isolation gemeinnützig organisiert.

[3] Wer sich selbst entgegenkommt, lebt gefährlich, weil er von sich überrumpelt werden könnte.

[4] Alles war schon einmal da.
Nur das Nichts bleibt, wie es immer war.

[5] Der selbstsichere Philosoph: Das Unding an sich.

[6] Über lesenswerte Bücher muss man erst stolpern, weil sie nicht mehr gelesen werden, oder überhaupt noch von niemandem gelesen wurden.

[7] Was man von sich gibt, darf nicht einfach so dahergesagt sein!

[8] Die meisten sind Universalbelehrte.

[9] Wer sich einmal voll und ganz auf sich eingelassen hat, wird nichts mehr zu verlieren haben.

[10] Die Verlegenheit des Philosophen hat ihren Grund darin, dass dieser sich grundsätzlich in Frage zu stellen hat.

Über die Wahl der Lektüre

Ich habe heute einen anregenden Twitter-Chat mit einem Freund der Literatur geführt. Im Verlaufe unseres Chats hat er mir einige interessante Fragen gestellt, darunter auch die folgende:

Verrate mir eins: Wie steigerst du dein Lesepensum?

Diese Frage stellte er mir, weil er den Eindruck hat, dass ich „sehr viel und häufig“ lese. Da es vielleicht den einen oder anderen treuen Blogleser interessieren könnte, möchte ich meine Antwort auf diese Frage an dieser Stelle gerne in aller Ausführlichkeit wiedergeben:

Ich denke, dass es nicht darauf ankommt, möglichst viel zu lesen, sondern das zu lesen, was einem selbst auch etwas eingeben kann. Mit der Zeit habe ich ein gutes Gespür dafür entwickelt, welche Autoren und Bücher mir in gewissen Zuständen der Gestimmtheit förderlich sind. Es ist so, dass manche Bücher einem nichts nützen, wenn man sie nicht zum rechten Zeitpunkt liest. Um für sich herauszufinden, ob man den Bezug zu einer Literatur herstellen kann, muss man natürlich zunächst einmal die Augen für möglichst viele charakteristische Autoren und Bücher offenhalten und sich aus selektiver Lektüre einen Geschmack für die Literatur erarbeiten. Dazu ist es hilfreich, sich an Kanons oder Literaturlisten zu orientieren und erst einmal das zu lesen, was gemeinhin als große Literatur angesehen wird. Alles andere wäre Zeitverschwendung. Mit der Zeit entwickelt man seine Vorlieben, entdeckt Lieblingsautoren, wagt den Blick über den Tellerrand hinaus – und macht so seine Entdeckungen. Norbert Bolz hat in seinem Buch Das richtige Leben gute Worte dafür gefunden, inwieweit wir einen Kanon der Literatur für uns nutzbar machen können: „Der Kanon ist eine Leiter, die man wegwerfen kann, nachdem man sie erklommen hat, aber eben auch erst wegwerfen sollte, wenn man hinaufgestiegen ist.“ Steige also hinauf, und du wirst sehen, wohin dein Blick ausschweifen wird! Denn die Literatur ist nicht dazu da, um an dich herangetragen und als ein Pensum von dir abgearbeitet zu werden, damit du irgendwann gebildet bist (oder es auch nur zu sein scheinst). Es sollte dir in deinem eigenen Interesse vielmehr darum zu tun sein, mit den Jahren die Autoren und Bücher herauszufinden, die dir immer wieder etwas Neues eingeben können, weil sie dir gemäß sind und das zum Ausdruck zu bringen vermögen, was dir wichtig ist.