Über den Tod

von Egregantius

Cicero zitiert in den Gesprächen in Tusculum lange vor Ludwig Wittgenstein, der ja unter anderem mit dem Satz „Der Tod ist kein Ereignis des Lebens. Den Tod erlebt man nicht.“ bekannt geworden ist, Epicharm mit den Worten „Sterben möchte ich nicht, doch Totsein betrifft mich ja gar nicht.“[1] Epicharm hatte also bereits erkannt, was vom Tod zu halten ist – nicht allzu viel –, denn tatsächlich ist der Tod völlig losgelöst, ja in seiner abgeschotteten Ignoranz geradezu vollständig emanzipiert von mir und kann mich darum auch zwangsläufig gar nichts angehen. Das ist beim Sterben anders, denn dieses wird realiter als Prozess durchlebt und kann darum durchaus mit großen Schmerzen verbunden sein, aber mit dem Tod, der in seiner skurril anmutenden Endgültigkeit naturgemäß vollkommen schmerz- und empfindungslos sein muss, weil er selbst als Spitze nicht erlebt wird, ist das Sterben nicht gleichzusetzen. Doch wie ist das eigentlich mit Menschen, die den Leiden des möglicherweise qualvollen Sterbens durch einen rechtzeitigen und bewusst gewählten Freitod vorbeugen wollen; wenn sich also z. B. ein sterbenskranker Mensch dazu entschließt, den Tod dem Leben vorzuziehen, was kann ein solcher Mensch sich von seinem Freitod versprechen? Mal abgesehen von der sofortigen Eindämmung aller vorhandenen Schmerzen[2] nicht allzu viel, denn auch wenn er sich bewusst dazu entscheidet, diesen Schritt zu gehen, befreit ihn das zwar vom Leben, aber es macht ihn nicht frei für etwas anderes, was sich darüber hinaus denken lässt: Er verliert mit sofortiger Wirkung die Kontrolle über sein Leben und es bleibt ihm – zumindest dann, wenn er hoffnungsfrei realistisch bleibt – ein Nichts, das keine Grenzen kennt, aber darum auch vollkommen bedeutungslos ist, weil es eben Nichts ist, in das er eingehend aufgeht und damit für immer verschwindet. Von meiner Freiheit, die ja zumindest potenziell zwischen Freizeit und Freitod oszilliert – wie es Michael Richter in einem glänzenden Aphorismus[3] zum Ausdruck bringt –, bleibt mir also letzten Endes nur die Gewissheit, „dem Tod den Vorzug vor den Nachzüglern“[4] gegeben zu haben, was immer ein überaus schwacher und hinfälliger Trost bleiben muss.


[1] emori nolo, sed me esse mortuum nihil aestimo [1, 8, 15]

[2] Was im Übrigen auch schon ein hohes Gut sein kann!

[3] „Freiheit oszilliert zwischen Freizeit und Freitod.“ (Wortschatz, [2007], S. 43)

[4] um mich selbst einmal zu zitieren (Segregierende Egregationen, [2011], S. 29)

ein Kommentar to “Über den Tod”

  1. […] Ergänzung: “Den Tod erlebt man nicht.” (Fundstelle) […]

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